Etappe 6: Storskavlbekken - Søre Biseggvatnet
Ein strahlend blauer Himmer empfängt mich am Morgen, holt mich
mühelos aus dem warmen Schlafsack. Wie gewohnt, habe ich tief und
fest geschlafen, erinnere mich meiner intensiven Träume.
Auf der Karte suche ich die bestmögliche Route zum Søre
Biseggvatnet, meinem heutigen Ziel. Zunehmend finde ich daran
Gefallen meine eigenen Wege zu suchen. Es erscheint mir wie ein
Synonym für das eigene Leben. Sich selbst zu finden, ist wie durch
eine weite Landschaft ohne Wege zu gehen.
Die Temperatur bleibt trotz Sonnenschein unter 15 Grad. Am Vormittag
kommt aus westlicher Richtung Wind auf und nimmt deutlich an Stärke
zu. Ich finde es wunderbar, diese Wetterveränderungen hautnah zu
erleben. Was für ein degeneriertes Leben uns die Zivilisation doch
beschert. Im Alltag bewegt man sich von einem klimatisierten Kasten in
den nächsten und trennt sich so vom Naturgeschehen.
Hier fühle ich mich durch und durch lebendig - ohne Handy, Computer,
feste Unterkunft und Badezimmer. Ich bin immer wieder erstaunt, wie
wenig es braucht, um glücklich zu sein. Freilich spielt man da mit dem
Gedanken, Mut zu fassen und den "Ausstieg" zu wagen.
Am Gammalkallfjellet mache ich eine ausgedehnte Pause und bestaune die
zergliederte, fast parkähnlich hügelige Landschaft. Weiter unten liegt der Store
Kjukkelvatnet, den ich aus anderer Perspektive schon kenne. Das Massiv des
Kvigtinden umgehe ich gegen den Uhrzeigersinn und erreiche gegen Mittag den
Søre Biseggvatnet. Was für eine überwältigende Landschaft empfängt mich dort.
Eingebettet erstreckt sich der gut fünf Kliometer lange und ein Kilometer breite
See in die graufelsig steil aufragenden Berge. Nur gen Süden, an den Ufern
seines Ausflusses, dem Biseggelva, öffnet sich die Landschaft zu einem weiten
grünen Tal. Wie bin ich begeistert von diesem Anblick! Am Südufer gibt es einige
ausladende Wiesenflächen, die zum Zelten in Frage kommen. Doch angesichts
des guten Wetters möchte ich noch ein Stück am Ostufer entlang laufen und mir
einen Nächtigungsstelle weiter nördlich suchen. Im südlichen Seeabschnitt
passiere ich eine schöne Kiesbank, auf der man ebenfalls gut zelten könnte.
Besser ich wäre hier geblieben, denn je weiter ich in nördlicher
Richtung laufe, umso steiniger und unwirtlicher wird das Terrain. Das
Nordufer erreichend, bezieht sich der gerade noch so blaue Himmel
innerhalb weniger Minuten mit dicken Wolken, die über die Berge im
Westen drängen. Ein Wetterumschwung steht unmittelbar bevor.
Schon beginnt es zu Tröpfeln. Ein passabler Zeltplatz ist weit und
breit nicht in Sicht. Ich streife den Rucksack ab und suche die
Gegend nach einer geeigneten Stelle ab. Der Untergrund muss eben
sein. Das Zelt darf nicht in einer Senke stehen, die sich bei heftigem
Regen schnell in einen See verwandeln könnte. Mehrmals laufe ich
die Uferregion ab. Ohne Erfolg. Schließlich schlage ich mein Zelt
notgedrungen und mit Unbehagen auf ebenem, moosbedecktem
Untergrund auf. Bei andauerndem Regen könnte es hier ziemlich
nass werden. Doch ich habe keine andere Wahl.
Eine Regenpause nutze ich für einen Ausflug in die nahe Umgebung.
Gab es am Südufer noch Moltebeeren in Hülle und Fülle, so finde ich
hier nur wenige, unreife Blaubeeren, deren Sammeln kaum lohnt. Die
Regenschauer kommen in immer dichterer Folge über den See und
treiben mich zurück in meine schützende Behausung. Noch hoffe ich,
dass ich morgen oder spätestens übermorgen meine Tour fortsetzen
kann. Doch es soll ganz anders kommen ...