Etappe 3: Litle Kjukkelvatnet - Viermaelva
Heute steht die Überquerung des Lotterfjells auf dem Programm. Ein Beitrag über das Børgefjell im Outdoor Magazin lobte die besonders
tolle Aussicht von dort auf den Namsvatnet. Doch beim Anblick der unspektakulären Erhebung des knapp 1100 Meter hohen Gebirgszuges
und der Aussicht weiter unten durch sumpfigen Birkenwald zu latschen plus einer weiteren Flussquerung bringen mich auf die Idee, den
Viermavatnet auf direktem Weg anzusteuern. Das verkürzt die Tour zwar um 2 Tage, doch dann wäre ich zwei Tage früher im Saltfjellet oder
könnte alternativ hier in der Gegend noch einige Ausflüge unternehmen.
Die Wetterbedingungen sind heute Morgen geradezu ideal. Die Sonne strahlt von einem nur locker bewölkten Himmel. Das sorgt für beste
Laune. Bereits um 7 Uhr bin ich abmarschbereit und kaum mehr zu bremsen.
Im freien Gelände geht es Richtung Gaukarvatnet. Das Terrain verläuft
leicht ansteigend über Wiesen, kleinere Mooregebiete und
Gebirgsheide. Die Baumgrenze liegt längst hinter mir. Hier auf 700
Meter Höhe wachsen allenfalls Kriechbirken oder niedrige Weiden. Ich
schrecke ein Dutzend Moorhühner auf, die mit ihrem dunkelbraunen
Gefieder perfekt an die Bodenfärbung angepasst, wie unsichtbar
zwischen den Felsen sitzen. Bis auf wenige Meter lassen sie mich
herankommen. Dann flattern sie allesamt aufgeregt davon, um sich ein
paar Hundert Meter weiter im Heidekraut niederzulassen. Über sanft
abfallende Wiesen laufe ich am Gaukarvatnet entlang. Winzige
Kiesstrände setzten idyllische Akzente. Am Ausfluss, der zum südlich
gelegenen Namsvatnet entwässert, mache ich eine längere Pause,
genieße die fantastische Aussicht und die wärmenden Sonnenstrahlen.
So unvergnüglich ich eine Wanderung bei Dauerregen und Sturm
empfinde, so genieße ich es, bei gutem Wetter durch die Tundra zu
streifen, im trockenen Heidekraut zu liegen, dem Murmeln eines
Baches zu lauschen, in die weite Landschaft hinein zu träumen,
seltene Vögel zu beobachten, sich an der tiefen Stille zu erfreuen. Aus
solchen Tagen schöpfe ich eine immense Kraft, die mir noch lange
nach meiner Rückkehr erhalten bleibt.
Den Ausfluss passiere ich dank meiner hohen Jagdstiefel von
Meindl trockenen Fußes. Einem Bachverlauf in östlicher Richtung
folgend, gewinne ich etwas an Höhe und kann den etwa 10
Kilometer südlich liegenden Namsvatnet ausmachen. Er hat eine
Ost-West-Ausdehnung von gut 15 Kilometern und ist ein wahres
Angelparadies. Regelmäßige Bootsverbindungen führen von einer
Straße am Südwestufer zu den einzelnen Fischcamps.
Bereits um die Mittagszeit erreiche ich den 800 Meter hoch
gelegenen Viermavatnet und schlängle mich durch die haushohen
kahlen Moränen am Ostufer. Im nördlichen Uferbereich laden
schöne Wiesenzeltplätze zum Verweilen ein. Doch angesichts des
herrlichen Wetters möchte ich den Viemaelva heute noch ein Stück
hoch laufen. Weit genug, um morgen ausreichend Zeit für die
anstehende Passüberschreitung und die Suche nach einem
geeigneten Nächtigungsplatz zu haben. Je weiter ich an Höhe
gewinne, umso rauer wird die Landschaft, dominieren Fels und
vegetationsloser Boden.
Bei 870 Meter Höhe entdecke ich einen schmalen Wiesenstreifen
direkt am Fluss. Gerne wäre ich noch weiter gelaufen, doch das
Risiko weiter oben keinen Zeltplatz zu finden, ist zu groß. Eine
unberechtigte Sorge, wie sich herausstellt.
Nach dem üblichen Bad im Fluss, packt mich die Lust auf eine
Besteigung des ca. 1150 Meter hohen Gæivenåsen. Eine Stunde
später erreiche ich nach einer unschwierigen Wanderung den felsigen
Gipfelaufbau. Die Anstrengung hat sich gelohnt. Mich erwartet ein
gigantischer Panoramablick. Ich bin völlig begeistert. Nach Norden
habe ich eine unglaubliche Aussicht auf den mit zahlreichen Inseln
versehenen Store Kjukkelvatnet. Dahinter erheben sich majestätisch
die gletscherbedeckten Abhänge des Kvigtinden. Wenn das Wetter
keinen Strich durch die Rechnung macht, werde ich in zwei Tagen an
seinem Fuß campieren.
Am Gipfel zeigt sich ein Mornellregenpfeifer von meiner Anwesenheit
völlig unbeeindruckt. Nur einige Armlängen entfernt hüpft er vergnügt
auf den Felsen herum. Man erkennt den besonders zutraulichen Vogel
recht gut am weißen Überaugenstreif und den gelblichen Beinen. Im
Fortplanzungsverhalten übernimmt das Weibchen die aktive Rolle und
versucht ein Männchen von der Balzgruppe fortzulocken und an sich
zu binden.
Lange noch bleibe ich auf dem Gipfel und lasse meinen Blick wie
verzaubert über diese wunderbare Landschaft schweifen. Mit
Einsetzen der Dämmerung erst kehre ich zu meinem kleinen Zelt am Fluss zurück und bleibe bis zum Sonnenuntergang vor meiner
Behausung sitzen. Glücklich in Anbetracht dieses wunderbaren Tages krieche ich in den Schlafsack und bin schon im nächsten Moment
eingeschlafen.